„Wie eine Fahrt in einem außergewöhnlichen Karussell…“

Ein Gespräch über „TON“ – Performance in a circle


Was ging Euch durch den Kopf, als Ihr mit der Arbeit an „TON“ begonnen habt?

Gerold Tusch: Es gab Bilder wie „Pilze suchen als Tanz“, die Nacht, das elementare
(Über)Leben… Wir haben über die Symbolik und Bedeutung des Skarabäus und den Kreislauf der Sonne in der ägyptischen Mythologie gesprochen. Da gab es Assoziationen mit außerirdischen, fremden Wesen, einem schillernden Etwas … Und die Idee des Catwalks, dem Laufsteg, der künstlichen Welt, die auf und für diesen erschaffen wird… Auch das Bild des grauen Tonblocks ist immer da gewesen. Ein Block, der nie streng geometrisch ist. Ein Block konzentrierter, beigefarbener Materie… Und dann gab es auch schnell Farbe: schillerndes Blaugrün und Orange. Dazu passten verschiedene Texte, etwa Anna Lowenhaupt Tsings „Der Pilz am Ende der Welt“ oder Robert Pfallers „Die blitzenden Waffen. Über die Macht der Form“. Auch Susan Sontags „Against Interpretation“. Gerade da wurde uns klar, dass wir Bilder einfach auch ihrer Bedeutung entledigt verwenden dürfen, sie nicht mit Inhalt und Symbolik überfrachten müssen – und das auch nicht sollen.

Anna Bárbara Bonatto: Wir beschäftigten uns viel mit Ton als Werkstoff, als Farbe und Farbton, mit Ton als Klang. Vor allem der Fokus auf das Potenzial von Ton interessierte uns.

Felicitas Biller: Ton als etwas, das ist, wie es ist, als etwas Pures, Brutales – wie in der Kunst des Brutalismus, in der roher Beton, Betonwände ohne Schale und mit unveränderter Oberfläche als Wände und Bauelemente verwendet wurden. Ungeschönt im Raum. Ton wird als Material sichtbar, dieses Potenzial wird durch Wiederholung sichtbar gemacht. Ton ist in seiner Exaktheit immer gleich. Dazu kommt auch der symbolische Charakter: Wir arbeiteten wochenlang mit denselben 15 Kilogramm Material – es speichert die Informationen, die wir ihm mit auf den Weg geben.

Katharina Schrott: Bei „TON“ geht es auch um die Symbolik des Kreises, dem etwas Archaisches, etwas Ursprüngliches anhaftet… Und um das Gehen als die ursprünglichste Bewegung, um Schritte, um jene Neutralität des Gehens, durch die etwas anderes in den Vordergrund gestellt werden kann. Mode und Couture… oder eben Ton.

Wie fügt sich „TON“ in das Triptychon „TON“, „Ton in Ton“ und „Spieltöne“ ein?

Cornelia Böhnisch: Das Ineinanderpassen von Kinderstück und Abendstück war ein wichtiger Leitgedanke. Die Stücke „Ton in Ton“ und „TON“ sollten sich gegenseitig spiegeln. So war von Anfang an klar, dass die Zuschauer*innen beim Abendstück in der Mitte sitzen und nach Außen blicken, während das bei „Ton in Ton“ umgekehrt ist. Das Abendstück ist daher auch sowas wie ein Spiegel des Inneren nach außen. Bei Spieltöne lösen wir uns von diesen Formalismen und gehen in jeglichen Raum hinein – in den öffentlichen, den privaten, den institutionellen…

Katharina Schrott: Betrachtet man das Triptychon ist in „Ton in Ton“ alles vereint. Die Kinder sitzen auf derselben Ebene wie die Erwachsenen. Die Handlung folgt keiner bekannten Geschichte. Vielmehr war es Ziel abstraktes Theater für Kinder zu machen. Die Handwerklichkeit steht im Zentrum, das Kneten, Formen… man empfindet Empathie und spürt mit. Tun. Bei „TON“ wird dann eine Facette herausgenommen, ist Vieles abstrakter, während sich das Vermittlungsformat „Spieltöne“ dem kindlichen Spiel widmet. In allen drei Produktionen sind also verschiedenste Pendelbewegungen wahrnehmbar.

Licht, Sound und rhythmisch-kreisende Bewegungen gehen bei „TON“ eine ganz unmittelbare Liaison ein. Die Isolation der einzelnen Zuseherin / des einzelnen Zusehers in einer in der Bühnenmitte platzierten Sitzplatz-Koje, von der aus nur ein Ausschnitt des Gesamten zu sehen ist, verstärken dieses Erleben. Wie nehmt Ihr diesen Kontrast zwischen Isolation und jenem „Sein inmitten von Dynamik“ wahr?

Gerold Tusch: Bei „TON“ wird nur ein Ausschnitt des Ganzen sichtbar – Sowohl vom Vorbereitungsprozess, von dem nur ein Bruchteil des erarbeiteten Materials dann letztlich verwendet wurde, wie auch im Stück selbst. Absolut spürbar aber ist: Auch wenn Abstraktion präsentiert wird, man fühlt die Tiefe und dieses Erlebnis ist elementar, direkt, unmittelbar und ganz konkret: Es gibt mich und die Performance – alles andere ist plötzlich weg.

Cornelia Böhnisch: Musik und Sound sind unmittelbarer Bestandteil und wachsen mit der Performance zusammen. Alles ist nach vorne ausgerichtet, man erlebt und spürt Musik dreidimensional, spürt die Schritte und sensibilisiert sich für diese. Der Fokus liegt auf der Sensibilisierung. Das war etwa auch bei „Empathie mit einer Gummihand“ schon als Experiment im Produktionsprozess da: Bestimmte Sinne werden ausgeschaltet, um andere Sinne dadurch zu stärken. Bestimmte Sinne werden kanalisiert, um die Wahrnehmung anderer Sinne stärker aufzumachen… Dazu kommt das Wiederholende, die Wiederholung…

Felicitas Biller: Kontrast ist wohl auch dadurch spürbar, dass das Publikum bei „Ton in Ton“ in einem Theatersetting verortet ist – man weiß zu jedem Zeitpunkt der Vorstellung: Ich sitze in einem Theater. Während die Kabinen bei „TON“ eigentlich überall sein könnten. Sie sind nicht so eng mit einem theatralen Raum verbunden. Das (klassisch) theatrale Setting wird freigestellt: Die Abstraktheit, die Reduktion bei „TON“ öffnet etwas. Man reduziert, damit man mehr sehen kann.

Anna Bárbara Bonatto: Das gilt auch für die Choreografie: Man reduziert, was man tut, damit man mehr tun kann. Wir verstecken uns nicht hinter Kostümen oder Requisiten… Welche Rolle spielen in diesem Kontext das Objekt und das Material Ton?

Gerold Tusch: Ton ist das Material, das alles werden könnte – das, was die Performerinnen das ganze Stück hindurch tragen. Am Anfang heben Sie es auf und am Ende legen sie es wieder ab. Es ist plastisch und gewichtig und es reagiert auf Berührungen. Ton ist nicht nur verformbar – immer neue Bilder entstehen aus dem Grundstoff, das Material ist berührungssensibel, dies macht Vieles möglich: Von einer radikalen Verformbarkeit, bis hin zu einer seismografischen Aufzeichnung von Berührung. Das Potenzial von Ton, seine Plastizität, seine Gewichtung– all das wird für das Publikum spürbar. Im Kinderstück wird dies stärker sichtbar gemacht, im Abendstück ist dies spürbar.

Welche Gedanken / Überlegungen haben die Gestaltung der Soundkulisse begleitet?

Jan Leitner: Da sich während des Probens ständig neue Ideen, Erkenntnisse, Richtungen ergeben und dadurch vom gesamten Team partizipativ Entscheidungen getroffen werden, muss ich nach und vor jeder Probe als Musiker reagieren. Die musikalische Frage, die sich mir immer stellt, ist: Was kann ich beitragen? Die musikalische Praxis im Toihaus ist kein “Atmosphären”- dazu- komponieren, kein Reparieren von Dingen, die ohne Musik nicht funktionieren könnten. Daher ist das Wort „Kulisse“ – nicht passend, da – ganz grundlegend formuliert – die Musik von „TON“ dem Stück keine dekorative oder ornamenthafte und darüber hinaus keine konkrete narrative Struktur vorgibt, außer einer Zeitlichkeit und hoffentlich effektiven Assoziativität, die sich aus Bewegung und der Musik ergibt. Ohne viel vorwegnehmen zu wollen: Ein beträchtlicher Teil des Stücks enthält überhaupt keine elektronische Verstärkung von Geräuschen und Musik meinerseits. Während wir an dem Stück gearbeitet haben, wurde uns ziemlich schnell klar, dass das Intro – der erste Satz des Stückes – akustisch sehr reduziert sein wird. Ein Großteil der harmonischen Informationen stammt aus vielen mehrfach verfremdeten und neu aufgenommenen Sounds – u.a. sind einige Stellen, wenn auch sehr subtil, Referenzen auf J.S. Bachs Choräle oder Samples von Improvisationen meinerseits oder auch beispielsweise, von Connies Tochter. Was sich im musikalischen Prozess im Laufe des Probens zudem immer deutlicher herauskristallisiert hat, war das Verhältnis von fragmentarischem Minimalismus, Reduktion und, kontrastierend dazu, Opulenz von Klangfarben, deren Ursprung und Entwicklung oft völlig verschwimmen. Das führte uns zur Möglichkeit der Wahrnehmung von (a)synchronen Momenten.

Welche Parallelen zwischen Bildender Kunst und Performance / Theater haben sich im Arbeitsprozess an „TON“ und „Ton in Ton“ gezeigt?

Gerold Tusch: Bildende Kunst kann sehr einsam sein. Der bildende Künstler agiert in seinen Entscheidungen oft sehr autonom und ist unabhängiger von anderen. Theater hingegen ist arbeitsteilig und damit ein sozialer Prozess, der sich auch in der Rezeption viel stärker sozial manifestiert. Und es geht immer um Formfindung, um die Frage von Form und Bedeutung, wenn etwas sichtbar werden soll! Es war super schön zu erleben, dass die unabhängige Form überall existiert: in der Bewegung/Tanz, im Sound/Musik, beim Licht und natürlich auch in allen anderen visuellen Aspekten der Performance und Bühnen-Installation.

„TON“ – „Ton in Ton“ – „Spieltöne“: Ein Metathema und drei verschiedene künstlerische Produktionen / Formate. Zudem werden mehrere Ziel- und Altersgruppen „unter einen Hut“ gebracht. Ganz bewusst wird ein „Theater für Alle“ gestaltet. Welche Gedanken sind Euch im Produktions- u. Probenprozess durch den Kopf gegangen? Wo seht Ihr Schnittstellen zwischen den Produktionen? Kann es ein Theater für die Jüngsten und die „Großen“ überhaupt gleichzeitig geben?

Felicitas Biller: „Spieltöne“ etwa ist ein partizipatives Format, das – wenn es wieder möglich ist – auch in Seniorenhäuser gehen kann. „Ton in Ton“ ist eine Produktion für Kinder, das ehrlichste Publikum überhaupt, denn an ihnen misst sich die Nachvollziehbarkeit einer Handlung. „TON“ hingegen ist Extrakt und geht an die Substanz ….Formate für verschiedene Zielgruppen zu denken, die verschiedene Altersstadien durchlaufen, ist auch eng verbunden mit dem Bewusstsein der gesellschaftlichen Relevanz von Theater: Man geht auf die je nach Alter unterschiedlichen Wahrnehmungen ein, man versetzt sich in verschiedenste Personen, zeigt Empathie und schafft dadurch eine Öffnung, mit dem Ziel, Menschen zu berühren.

Gerold Tusch: Für mich ist klar geworden, dass die Unterschiede viel kleiner sind, als ich gedacht habe. Aber so ist es in der Kunst – interessante Werke sind oft keine Altersfrage der Rezipient*innen. Es lässt sich aber nicht leugnen, dass die Interessenslage der Zuschauer*in helfen kann, in ein Werk einzusteigen. Auf jeden Fall finde ich, dass „Ton in Ton“ auch für Erwachsene spannend sein kann. Es geht darum, ein Publikum ernst zu nehmen, nicht es ihm recht zu machen.

Cornelia Böhnisch: Drei Produktionen und ein Material, das so vieles kann. Im Inneren wie im Außen. Dazu die Möglichkeit geben, etwas im Entstandenen zu sehen, wie Wolkenbilder, in denen man manchmal etwas erkennen kann und manchmal nicht. Die enge Verbindung zwischen Form und Bedeutung und dann 30 Minuten Zeit, die man geschenkt bekommt für eine Fahrt in einem außergewöhnlichen Karussell…

 

Fotos: (c) Studio Fjeld