„Wenn Häutung empfindbar wird“

– Interview mit Cornelia Böhnisch und Katharina Schrott zum Produktionsprozess von „Im Flatterland“.

Wie ging/geht es Euch im Arbeitsprozess? Was bedeutet „Im Flatterland“ für Euch persönlich?

Die Arbeit an „Im Flatterland“ bedeutet für uns Aufbruch! Es ist ein neues, künstlerisches Abenteuer, eine neue Landschaft, in die wir mäandernde Spaziergänge wagen. Die Freude am Material ist dabei zentral und inspirierend. Bereits letztes Jahr legten wir mit der mehrteiligen Produktionsreihe rund um Ton einen starken Fokus auf die Materialität. Dieses Jahr widmen wir uns textilem Material. Textiles ist zwar nicht so stark mit archaischer Bedeutung verknüpft wie Ton, doch entdecken wir es als Arbeits- und Werkstoff, der ebenso elementar ist. Die Annäherung ist jedoch eine andere als letztes Jahr: Bei den Recherchen zu Ton hatten wir durch den bildenden Künstler Gerold Tusch eine konkrete Anleitung, wie man Ton behandeln muss, wie man ihn „pflegen“, auch wie man etwa formend damit umgehen muss. Textilien erfordern da eine andere Herangehensweise, da sie weit fluider und offener sind. So bieten sie etwa, wenn man sich ihnen skulptural annähern möchte, weniger Improvisationsmöglichkeiten und es sind fixe Choreografien nötig, da das Material sonst sehr leicht „stirbt“. Wir haben seit ein paar Produktionen ein eingespieltes künstlerisches Team, das unseren Weg, eine performative Sprache ohne Alterswidmung zu finden, begleitet. Mit konkreten Materialien suchen wir in abstrakten Formen nach Momenten, die ein breites Publikum und die unterschiedlichsten Wahrnehmungsebenen anzusprechen vermag.

Was hat „Im Flatterland“ mit dem Spielzeitthema „Häutung(en)“ zu tun?

Der Häutungs-Begriff an sich ist riesengroß. Für das Spielzeitthema interessiert uns vor allem der Prozess, die Bewegung des Abfallens. Damit sind viele Bedeutungen verknüpft. Wir haben uns gefragt: Wieviel Bewegung muss gemacht werden, um sich zu häuten? Wieviel Stillstand ist nötig, damit sich Haut von selber schält? Dabei entstehen bewegte Skulpturen. Begreift man Bühne als Vergrößerungsglas, wird „Im Flatterland“ zum Mikroskop. Der Fokus auf jenen Moment, in dem der Prozess der Häutung empfindbar wird, ist dabei zentral. Darin steckt viel Gefühl und das wird zum treibenden Motor. Häutung ist ein stark bewegter Begriff, der wie das Flattern jene schnelle Hin- und Her-Bewegung beinhaltet.

Wie kam es zum Titel „Im Flatterland“?

Uns war klar, dass der Titel den Aspekt der „Landschaft“ beinhalten muss, aber auch das Unstete, ein Flirren und Flattern… So schnell flattern, dass man stillsteht… Damit ist für uns auch sehr stark der Dualismus Ruhe – Unruhe verknüpft. Das Ausloten jenes Kipppunktes zwischen Ruhe und Unruhe, dieses Bewegt-sein, um den Ruhepunkt zu finden, der das lebendige Dasein immer betrifft und somit auch mit dem Leben an sich sehr viel zu tun hat. All das steckt in dem Titel und in diesem Stück.

Warum verwendet Ihr Textil?

Damit lässt sich dem Dualismus Ruhe und Unruhe eine wunderbare Form geben. „Im Flatterland“ ist somit auch eine Art Pendelbewegung. Wir arbeiten mit mehreren Schichten: Eine leichte, luftige Stoffbahn neben einem grünblauen Textil. Ein schwerer, schwarzer Stoff, dazu Nebel, der sich als stark fluides Element mit den übrigen Stoffschichtungen verbindet. Damit versuchen wir auch eine Annäherung an die vier Grundelemente Luft, Wasser, Erde und Feuer, die die Essenz des Lebens bedeuten. Dazu kommt der Gegensatz von Falten und Wellen. Beide haben zwar ein- und denselben Ursprung, doch ganz unterschiedliche Ausprägungen und Bedeutungen: Da ist das Bild und die Assoziation mit Meereswellen. Menschen schauen auf das Meer, dies strahlt etwas ungemein Beruhigendes aus. Während eine Welle etwas Leichtes, Lockeres hat, hat eine Falte – man denke an eine Plissee- oder Bundfalte – eine gewisse Strenge und Verbindlichkeit. Eine weitere Ebene ist die elementare Bedeutung von Stoff und Textilem: Wer kennt nicht die Faszination, die eine große, bewegte Stoffbahn auslösen kann, man denke das gute alte Schwungtuch, das etwa für Kinder sehr gut funktioniert. Dieses Gefühl, diese Erfahrungen, die viele Menschen, Kinder wie Erwachsene kennen, wollten wir aufgreifen und eine Brücke zur Kunst schaffen. Denn in der Arbeit für ein möglichst breites Publikum fokussieren wir immer sehr stark auf der Suche nach einem kleinsten, gemeinsamen Nenner, auf Erfahrungen und Gefühlen, die möglichst viele Menschen nachvollziehen können. Ein weiterer Aspekt bei der Materialwahl war der Wunsch den Bühnenraum – auch in der Raumhöhe mehr ausfüllen zu können. Ton kommt schwer nach oben, mit Textilien können wir mehr als 2/3 des Bühnenraums, vor allem die Höhe bespielen und so auch der Choreografie insgesamt mehr Raum geben.

„Im Flatterland“ wird ja wieder Teil einer Produktions-Serie sein. Welche Synergien nutzt ihr? Welche inhaltlichen und künstlerischen Schnittpunkte wird es geben?

Bei der Erarbeitung neuer Produktionen tauchen wir immer in einen intensiven Rechercheprozess ein. Mehrteiliges Produzieren ermöglicht uns, insgesamt tiefer zu graben. Dies bietet mehr Raum in jegliche Richtung, mehr Atem. In den Recherchephasen entsteht sehr viel Material, diese Vielfalt wird dann auf einzelne Produktionen aufgefächert. Doch nach den Phasen des Erfindens und Erarbeitens von Material, braucht es dann immer auch einen „Reality Check“. Dabei setzen wir uns intensiv und kritisch mit sämtlichen Fragen auseinander: Für welches Alter ist die Produktion geeignet? Welche Wahrnehmungsebenen sprechen wir an? Wie soll die Produktion final gestaltet sein? Und das Schwierigste überhaupt: Welches Material wird weggelassen? Diese Vorgangsweise des Eintauchens und Auslotens schließt auch alle weiteren Toihaus-Formate mit ein: Von den Festivals – Performance Fiction und BimBam oder der Serie „Zu Gast“, bis hin zu straßenseitig ausgerichteten Screens, über die das Toihaus auch in den öffentlichen Raum ragt. So steht etwa auch Isabelle Schads Gastspiel „FUR“, das dieses Jahr im Rahmen von „Performance Fiction“ programmiert wird in enger Verbindung mit der Auseinandersetzung mit dem Textilen: In „FUR“ werden Haare zum „Haarkleid“ und dieses bedeckt und verhüllt den Körper.

Loslassen, ablösen … All dies assoziiert man mit „Häutung(en)“. Inwieweit seht ihr das Spielzeitthema „Häutung“ und „Im Flatterland“ auch mit der aktuellen (gesellschaftlichen) Situation verwoben?

Das Spielzeitthema „Heilung“ (Spielzeitthema 2020/21, Anmerkung) haben wir bereits vor der Pandemie programmiert. Aus diesem heraus entstand die „Häutung“: Das Übergehen in einen neuen Lebensabschnitt, das Loslösen von alten Mustern, wie es etwa nach überstandener Krankheit der Fall ist. Die aktuelle Pandemie weckt die Hoffnung, dass auch die Gesellschaft Mut zu einer Häutung entwickelt. Der Wunsch und die Sehnsucht nach dem einfachen Sein – was auch immer das für den/die Einzelnen bedeutet. Und der Wunsch, dass die aktuelle Situation für ein Umdenken genutzt wird, um vom omnipräsenten „höher/schneller/ weiter“ Credo, das ja auch Ursache für die aktuelle Situation ist, abzukommen. Außerdem fallen durch die Pandemie viele Masken. Viele Brüche in der Gesellschaft werden sichtbarer. Dieses Erkennen und Finden eines Umgangs damit, ist wohl eine Form kollektiver Häutung.

 

Fotos: Fabian Schober